E-Commerce-Experte zur Konkurrenz aus China: „Das Risiko für den deutschen Einzelhandel ist real“
Wird geladen...
Chinesische Onlinehändler wie Temu, Shein und AliExpress drängen schon seit einiger Zeit auf den europäischen Markt und bieten heimischen Anbietenden Konkurrenz durch Schleuderpreise, Personalisierung und eine hohe Reaktionsgeschwindigkeit, gerade digital. Sascha Hoffmann, Professor für Betriebswirtschaftslehre und Online-Management an der Hochschule Fresenius (HSF) in Hamburg, bewertet die Wachstumschancen für die chinesischen E-Commerce-Unternehmen als sehr hoch und rät dem deutschen Onlinehandel, in bestimmten Bereichen aufzuholen.
„Das Potenzial ist in Europa weiterhin groß. Sollte es den Plattformen gelingen, das Vertrauen in Qualität und Service zu stärken, könnten sie mittelfristig in den Mainstream vordringen“, ist Hoffmanns Einschätzung. „Die Chinesen sind stark im taktischen Pricing, bei Personalisierung und digitaler Reaktionsgeschwindigkeit. In diesen Bereichen müssen die deutschen Player aufholen“, fügt der E-Commerce-Experte hinzu.
Auch wenn Hoffmann nicht zwingend ein Wanken des deutschen Onlinehandels voraussieht, warnt er, die Situation nicht auf die leichte Schulter zu nehmen: „Das Risiko ist real.“
Zudem werden Temu, Shein & Co. angesichts ihres sinkenden Einflusses in den USA - angetrieben durch die derzeitigen Regulationen, hohe Marketingkosten und schlechte Bewertungen - ihren Schwerpunkt auf Europa verschieben. Hier hat der stationäre Einzelhandel seit der Covid-Pandemie und angesichts der verschärften Wirtschaftslage zu kämpfen, was die vielen Insolvenzen auch im Mode-Einzelhandel belegen. Auch die Übernahme von About You durch Zalando geht in diese Richtung, denn die beiden ehemaligen Konkurrenten haben gemeinsam bessere Chancen, sich gegen den wachsenden Konkurrenzdruck aus Asien zu behaupten.
Hilfe durch Regulation
Für Hoffmann muss Abhilfe durch Regulation geschaffen werden, etwa durch eine Paketgebühr für Sendungen aus Drittstaaten, die Abschaffung der Zollfreigrenze, die Pflicht zur digitalen Rückverfolgbarkeit oder die Förderung europäischer Alternativen. Auch wenn die EU-Kommission bereits gegen Shein ermittelt und individuelle Mitgliedstaaten wie etwa Frankreich kurz vor einem Gesetz gegen Shein stehen beziehungsweise der Handelsverband Deutschland beim Bundeskartellamt eine Beschwerde gegen Temu eingereicht hat, hinkt die EU-Politik noch hinterher.
„Europa braucht keine Abschottung, aber kluge Rahmensetzung. Die Politik muss gleichzeitig für fairen Wettbewerb sorgen und Anreize für echte Nachhaltigkeit setzen“, fasst Hoffmann zusammen.
Könnte Shein in Europe ähnlich Fuß fassen wie in Indien?
Wie schnell die chinesischen E-Commerce-Riesen handeln und wie gewandt sie sind, zeigt sich am Beispiel Shein in Indien: Die Marke wurde bereits 2018 auf dem lukrativen Markt mit Millionen von jungen Verbraucher:innen eingeführt - und trotz heimischer Konkurrenz (der indische Markt für non-branded Textilien ist riesig) gut angenommen. Zwei Jahre später gab es Grenzkonflikte zwischen Indien und China und chinesische Anbieter und Apps wie Temu, Shein, Tiktok und Co. erst einmal verboten. Für Shein unakzeptabel, da dem Unternehmen Millionen von relativ leicht erreichbaren potenzielle Kund:innen im Nachbarland entgingen. Das Unternehmen schloss daher eine Vereinbarung mit Mukesh Ambanis Reliance Industries, das seither eine eigene E-Commerce-Plattform für Shein-Produkte betreibt und Shein feierte in diesem Jahr sein Comeback in Indien.
Für Europa ist diese Entwicklung aus zweierlei Sicht relevant: Zum einen könnte Shein auch hier einen Partner wie Reliance in Indien finden und seine Geschäfte lokalisieren. Zum anderen plant der Fast-Fashion-Riese bereits, seine Lieferkettenaktivitäten in Indien deutlich auszuweiten: in den kommenden sechs bis zwölf Monaten sollen in Indien gefertigte Shein-Produkte über die britische und US-amerikanische Website von Reliance Retail vertrieben werden, mit vermutlich „Made in India“ als Label statt „Made in China“. Die Zahl der indischen Zulieferer:innen soll jedenfalls innerhalb eines Jahres von derzeit rund 150 auf bis zu 1.000 steigen.
Wie Reuters zur Shein-Reliance Partnerschaft berichtete, soll Reliance indische Zulieferer:innen auch dazu angehalten haben, zunächst lediglich 100 Einheiten pro Design zu produzieren. Erst bei starker Nachfrage soll die Produktion erhöht werden — ein Modell, das Risiken minimiert und gleichzeitig auf datengetriebene Nachfrageoptimierung setzt.
Für den deutschen Onlinehandel heißt dies, sich anzustrengen und schnellstens aufzuholen, wie dringend Hoffmann empfiehlt: „Wir müssen anerkennen, dass diese Plattformen aus China in einer anderen Liga spielen - besonders bei Themen wie der Datennutzung und der Sortimentsbreite. Diese digitale Exzellenz müssen wir mit europäischen Werten und Nachhaltigkeit kombinieren. Zudem müssen die hiesigen Schwergewichte bei der Sortimentsgestaltung und den Beschaffungskosten aufholen.“
- Chinesische Onlinehändler wie Temu und Shein drängen auf den europäischen Markt und locken mit Schleuderpreisen und Personalisierung.
- Experte Sascha Hoffmann von der Hochschule Fresenius rät dem deutschen Onlinehandel, in Bereichen wie taktischem Pricing und digitaler Reaktionsgeschwindigkeit aufzuholen.
- Die EU-Politik hinkt hinterher, und es bedarf Regulationen wie Paketgebühren und der Abschaffung der Zollfreigrenze, um fairen Wettbewerb zu gewährleisten.