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Co-Leadership bei Otto: Einblicke in ein innovatives Führungsmodell

Führungspositionen werden oft als Vollzeitstellen ausgeschrieben, das schließt in Teilzeit arbeitende Menschen aus. Dabei gibt es auch andere mögliche Modelle, wie das Co-Leadership, bei der mehr als eine Person dieselbe Führungsrolle innehat. Beim Hamburger Retailer Otto teilten sich Jennifer Halemba und ihre ehemalige Kollegin Marleen Hinzmann mehr als zwei Jahre lang die Führungsposition Head of Recruiting.

Im Interview erzählt Jennifer Halemba, wie Co-Leadership in Teilzeit ihr als junge Mutter nicht nur den nächsten Karriereschritt ermöglichte, sondern auch eine äußerst bereichernde Erfahrung für ihre persönliche Entwicklung war.

Frau Halemba, Sie und Ihre Kollegin Marleen Hinzmann haben sich eine Führungsposition mit dem Schwerpunkt Recruiting, Context HR, Business Recruiting geteilt. War es im Fazit sinnvoll?

Jennifer Halemba: Co-Leadership im Sinne von auf zwei Personen aufgeteilte Führung, ist ein aus meiner Sicht sehr, sehr gut funktionierendes Modell und das ist auch die Erfahrung, die wir in den letzten zwei Jahren gemacht haben.

Woher kam die Ursprungsidee zum Führungsduo?

Unser Chef hat bei uns beiden die Qualifikation, die Befähigung, das Potenzial gesehen. Wir haben aber beide gesagt, dass wir aufgrund unserer familiären Situation nur in Teilzeit zur Verfügung stehen. Wir sind beide Mütter von zwei noch relativ kleinen Kindern – und dann haben wir das sehr offen besprochen, welchen Rahmen wir möglich machen können, ob wir uns überhaupt in so eine Richtung weiterentwickeln wollen.

Wer brachte das Stichwort Co-Leadership ins Spiel – war es Ihr damaliger Chef?

Wir kommen ja aus dem Bereich Business Human Resources und beschäftigen uns quasi “naturgemäß” mit solchen Modellen. Co-Leadership war für uns kein komplett neuer Begriff. Ich würde sagen, das war nicht jetzt initial die Idee von unserem Chef, sondern wir haben das in den Gesprächen zu dritt erarbeitet.

Welche Gründe haben damals, neben der Vereinbarkeit von Familie und Führungsposition, für diese Entscheidung gesprochen?

Die Abteilungsleitung war tatsächlich eine relativ umfassende, sowohl von der Personenstärke im Team als auch von den Fachthemen. Marleen und ich kannten uns schon seit über zehn Jahren – auch aus der Zusammenarbeit. Da sind wir sehr schnell zum Schluss gekommen – Mensch, diese Abteilungsleitung, das können wir uns auch miteinander einfach sehr, sehr gut vorstellen.

Führung in vielen Händen

  • Co-Leadership: ist die Aufteilung einer Führungsposition auf zwei oder mehrere Personen.
  • Shared Leadership: Auf deutsch “Geteilte Führung” ist ein Führungsstil, der die Führungsverantwortung im Team verteilt. Mitglieder in einem Team oder Organisation übernehmen gemeinsam die Führung.

Ich finde diesen Prozess interessant, dass die Idee zur geteilten Führungsposition im Gespräch miteinander entstanden ist. Wie sind Sie weiter bei der Verteilung Ihrer Aufgaben vorgegangen?

Unsere Ausgangsposition war, dass wir unsere Aufgaben – fachlich und im People-Lead – komplett aufteilen wollten. Uns war klar, dass wir beide fachinhaltliche Themen aus unseren Senior HR-Funktionen durchaus hoheitlich weiter betreuen würden. Die Idee war anfangs aber, dass wir in die fachlichen Themen der anderen so weit eintauchen, dass wir uns da gegenseitig vertreten und uns auch Aufträge zuteilen oder aufteilen können.

Aber es kam letztlich etwas anders.

Schnell hat sich in der Praxis herausgestellt, dass es im fachinhaltlichen Sinne nicht uneingeschränkt wie erhofft funktioniert hat, weil sowohl Marleen als auch ich sehr umfangreiche fachliche Themen hatten. Da haben wir festgestellt, dass es in der Praxis gar nicht so möglich ist, in dem Umfang einzusteigen. Im People-Lead war das anders.

Warum waren die Themen zu umfangreich zum Teilen?

Meine Kollegin hat sich zum Beispiel um das Thema Führungskräfteauswahl bei Otto gekümmert, ich mich viel um das Thema Vermittlungsmanagement – also wenn wir umstrukturieren, was passiert dann mit Menschen, die in eine Phase der Neuorientierung kommen? Das waren die beiden größten Themen, die wir besetzt hatten, sowohl konzeptionell als auch in der operativen Durchführung. Es waren tatsächlich Großprojekte, die das einfach nicht möglich gemacht haben, dass wir abseits von unseren eigenen Themen noch in die Projektthemen der anderen einsteigen.

Wie haben Sie sich die Rolle zeitlich aufgeteilt?

Vor dem Start in das Co-Leadership haben wir beide in 80 Prozent Teilzeit gearbeitet. Um dem eigentlichen Gedanken des Modells Rechnung zu tragen, sind wir hier mit je 70 Prozent (also 1,4 FTE als rechnerischer Größe) eingestiegen. Welche von uns beiden wann vor Ort ist, Erreichbarkeiten auch am Nachmittag oder frühen Morgen sicherstellt, haben wir anfangs flexibel abgestimmt, daraus hat sich schnell ein gut planbarer Rhythmus etabliert.

Ein Grund für das Co-Leadership waren familiäre Gründe. Hat das Modell angesichts der Work-Life-Balance gehalten, was Sie sich davon versprochen haben?

Ja, wir waren vorher beide schon Teilzeit erprobt. In der Tat war das mit 70 Prozent für uns ein gutes Modell, um uns da auch die Bälle zuzuspielen. Jede von uns hatte in der Regel in der Woche einen freien Tag. Die haben wir dann an unterschiedlichen Tagen gelegt. Das machte es für uns gut planbar, wer die Kinder zur Schule bringt und abholt. Das hat sich als sehr positiv herausgestellt und war ein gutes Modell für uns.

Sie hatten beide dieselbe Arbeitszeit in der geteilten Führungsposition. Haben Sie auch dasselbe verdient?

Ja, wir haben das gleiche verdient

Haben Sie beide gemeinsam das 1,4-fache einer Führungskraft in dieser Position gekostet? Und war dafür Überzeugungsarbeit nötig?

Ich verstehe den Punkt, auf den Sie hinaus möchten. Natürlich ist Co-Leadership rein monetär betrachtet teurer, als wenn Sie eine Vollzeitkraft einstellen, die ein Gehalt X verdient. Zwei Kräfte mit je 70 Prozent übersteigen ein Vollzeitäquivalent. So ehrlich muss man auch sein: Co-Leadership ist unternehmerisch erstmal kostenseitig teurer. Man hat aber auch mehr Arbeitskraft zur Verfügung. Wir sind eben auch nicht nur eine Vollzeitkraft, sondern 1,4 Vollzeitkräfte, wenn Sie so wollen.

Aber daneben gibt es noch Personalkosten.

Genau, Co-Leadership ist teurer als eine 1,0 Besetzung, weil Sie auch noch Personalnebenkosten pro Person haben. Aber dennoch überwogen hier klar die Vorteile und es ist tatsächlich mehr als eine Besetzung mit einer Person.

Karrierewege

    Jennifer Halemba und ihre ehemalige Kollegin Marleen Hinzmann arbeiteten beide in Teilzeit als Senior-HR-Managerin beim Hamburger Retailer Otto, bevor sie sich die Führungsposition Head of Recruiting von März 2023 bis September 2025 teilten. Danach trennten sich ihre Wege, Marleen Hinzmann orientierte sich außerhalb des Unternehmens und arbeitet derzeit als HR Business Partner bei Finanzdienstleister Peac Solutions. Jennifer Halemba arbeitet nach dem Umbau der HR-Abteilung auf der gleichen Karrierestufe als Head of HR Services & Processing bei Otto.

Sie haben es beide geschafft, den nächsten Karriereschritt mit Ihrer Familiensituation in Einklang zu bringen. Gab es noch andere Aspekte, die für Sie persönlich bereichernd waren?

Unbedingt, Sie haben jetzt gerade die Hard Facts genannt. Auch in persönlicher Hinsicht und in meiner Entwicklung war es eine sehr bereichernde Situation. Wir sind unterschiedlich von unseren Charakteren her – wir haben uns gegenseitig sehr zu schätzen gewusst und viel voneinander lernen können. Die Situation, dass Sie mit jemandem beruflich nahezu verschmelzen, so eine Chance haben Sie in fast keiner anderen Konstellation – so nah Feedback zu bekommen und so nah eine ganz vertrauensvolle Ebene miteinander zu haben, das ist wirklich eine unglaublich tolle und bereichernde Erfahrung, setzt aber auch ein hohes Maß an gegenseitigem Vertrauen und Professionalität voraus.

Was bringt Co-Leadership einem Unternehmen wie Otto?

Wie Sie wahrscheinlich wissen, haben die Themen Chancengeben und Diversity bei Otto einen hohen Stellenwert. Wir möchten Frauen und generell Menschen in verschiedensten Lebenssituationen, Karrierewege öffnen. Co-Leadership ist nicht die Antwort auf alles, aber es ist schon eine Option, die man gehen kann. Das eröffnet dann auch die Chance in Teilzeit – und wir reden hier nicht von 90 Prozent Teilzeit – in eine Führungsposition zu gehen.

Sind Sie im Nachgang auch als Personalerin froh, dass Sie in diesem Bereich etwas Pionierarbeit leisten konnten?

Wir hatten die Chance, hier etwas zu erschaffen und auszuprobieren, was es bei Otto nicht an jeder Stelle gibt. Es gab wenig Erfahrungswerte, wie in den meisten anderen deutschen Unternehmen. Da muss das Vertrauen da sein, Menschen loslaufen und ausprobieren zu lassen. Es gab natürlich Bedenken, die Kosten sind nur ein Thema von vielen. Abstimmungsaufwände ist ein anderes – weiß das Team überhaupt, an wen es sich wenden soll, mit welcher Frage? Bleiben wir effizient? Da ploppen sofort ganz viele Fragezeichen auf. Wir hatten keine Rollenmodelle im Unternehmen, keine Vielzahl an anderen Co-Leadership-Tandems, die wir fragen konnten.

Gab es Momente der Verwirrung, weil Sie beide dieselbe Position innehatten?

Ich würde sagen, es war an keiner Stelle verwirrend, weil wir immer in einem konkreten fachlichen Kontext aufgetreten sind, der sich auch ohne weiteres voneinander abgrenzen ließ. Wir sind ja auch mit einer hohen Offenheit da rangegangen.Wenn uns also jemand gefragt hat, haben wir auch genau erzählt, wie es ist und was die Idee dahinter ist.

Und wie kam es im Unternehmen an, als Sie darüber erzählt haben?

Uns wurde mit viel Offenheit, Aufgeschlossenheit und Neugierde begegnet. Andere Führungskräfte haben uns angepingt und gefragt: ‘Mensch, spannend, wie macht ihr das denn in der und der Situation? Was ist denn, wenn sich jetzt jemand krank meldet, wo gehen die denn jetzt hin? Habt ihr eigentlich zwei getrennte Kalender und Postfächer oder nur jeweils noch einen?’ Es kamen ganz neugierige und aufgeschlossene Fragen und auch von extern war durchaus Interesse da.

Hatten Sie Konflikte über Zuständigkeiten?

Das klingt jetzt vielleicht unglaubwürdig, aber es hat keine Konflikte gegeben. Gab es mal Situationen, wo wir zum Beispiel in Teamsituationen aufgetreten sind und hinterher gesagt haben: Da würde ich dir gerne nochmal ein Feedback geben, oder das hätte ich jetzt anders gemacht? Ja, sicherlich. Sonst wächst und entwickelt man sich ja nicht. Das ist aber Teil unserer gelebten Feedbackkultur und hat mit Konflikten nichts zu tun.

Also haben Sie sich perfekt ergänzt?

Wir haben unsere Unterschiedlichkeit sehr zu schätzen gewusst, und Felder konkret besetzt oder auch nicht besetzt. Wenn es schon klar war, es braucht jetzt jemanden, die mal ein bisschen im Wind steht, die etwas verhandelt, wo es um Durchsetzung geht, dann waren das Felder, die ich besetzt habe. Wenn es darum ging, sich in Themen nochmal etwas politisch und strategisch reinzudenken, dann hat das oft Marleen gemacht. Das wussten wir und konnten das neidlos eingestehen. Wir haben immer versucht, uns zu Nutze zu sein, als dass wir gegeneinander gearbeitet hätten.

Fühlten Sie manchmal, einen gewissen Druck, zu demonstrieren, dass es gerade bei Ihnen beiden sehr gut und sehr effizient läuft?

Ich finde, das ist so ein Mindset- oder Haltungsthema. Wir hatten nie das Gefühl, dass wir uns nochmal extra beweisen müssen als Führungskräfte, weil wir ein Co-Leadership-Modell leben. Wir haben auch für uns gesagt, wenn wir feststellen sollten, dass es sich ab irgendeinem Zeitpunkt künstlich oder für uns nicht mehr gut anfühlt, dann gehen wir auch zurück in unsere Senior-Rollen und dann muss man über ein anderes Modell nachdenken. Da sind wir mit einer hohen Offenheit und Transparenz rangegangen. Wir haben auch vorher unser Team gefragt, was sie davon halten und ob sie das überhaupt mitgehen würden.

Was wäre passiert, wenn viele gezweifelt hätten?

Dann hätten wir es nicht gemacht, schlicht und ergreifend. Wir hätten uns erst mal eine Akzeptanz erarbeiten müssen und so weiter. Es war ein sehr, sehr offener, partizipativer Prozess, an dem alle relevanten Menschen beteiligt waren.

Könnte Co-Leadership es auch mehr Frauen ermöglichen, die nächste Karrierestufe zu erklimmen? Gerade diese müssen als Elternteil oft zurückstecken. Und wäre es am Ende nicht besser, zwei gute Frauen anstatt einen schlechten Mann zu befördern?

Die Aussage, die unterschreibe ich natürlich auch erstmal. (lacht) Dennoch muss Co-Leadership schon gewollt sein, angesichts der angesprochenen Themen wie Kosten und so weiter. Aber klar, solche Modelle sind natürlich gerade auch für Eltern, ob es jetzt Mamas oder Papas sind, absolut eine gute Chance.

Warum denken Sie, dass es noch nicht so viel Co-Leadership gibt?

Ich glaube, Menschen neigen dazu, das Bekannte und Bewährte zu wählen, gerade in Krisenzeiten. Co-Leadership ist eben noch kein gelerntes Modell, das sich an ausreichend vielen Stellen als erfolgreich erwiesen hat und bekannt ist. Eigentlich ist es fast ein bisschen schade, eher den bekannten Weg zu wählen. Das bedeutet eben oft, dass Führungsstellen in Vollzeit ausgeschrieben werden.

Noch eine etwas philosophische Frage: Was würde es für eine Gesellschaft bedeuten, wenn es mehr Co-Leadership gäbe?

Viele denken Führung oft noch in einem sehr klassischen, fast tradierten Ansatz. Wenn man das gesamtgesellschaftliche Bild betrachtet, wäre beim Thema Führung durchaus noch Potenzial nach oben, was Diversität angeht, um noch mehr echte Chancen und Gleichheit herzustellen. Ich meine jetzt im Speziellen Frauen, aber würde den Rahmen bewusst noch weiter stecken. Es gibt viele in Teilzeit arbeitende Menschen und das würde mehr Chancen und Wege eröffnen.

Zum Schluss, haben Sie Tipps für Führungskräfte in anderen Unternehmen, die sich eine Position teilen möchten?

Da wäre mein Rat immer: Es klappt nur, wenn da ein großes Vertrauen untereinander besteht und auch eine hohe Wertschätzung füreinander. Sie müssen sich ihrer Unterschiede bewusst sein und darin eine Chance sehen, genau diese für ein Co-Leadership zu nutzen.

Über Otto

    Otto ist mit 18 Millionen Artikeln von mehr als 34.000 Marken, rund 12,2 Millionen Kund:innen der größte deutsche Onlineshop. Im Geschäftsjahr 2024/25 erzielte Otto einen Umsatz (Bruttowarenvolumen) von 7 Milliarden Euro. Otto ist Teil der international tätigen Otto Group mit Sitz in Hamburg und beschäftigt deutschlandweit 5.300 Menschen.

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